Moin,
freundlicherweise hat mir die Firma HNF Nicolai (vormals HNF Heisenberg) übers Wochenende ein Cargopedelec CD1 vor die Tür gestellt. Die Konstruktion könnte der einen oder anderen Person hier bekannt vorkommen - jedenfalls denjenigen, die schon mal auf der Sortimo-Seite über das Lastenrad "Procargo CT1" gestolpert sind.
Nach einigen Kilometern Probefahrt die letzten Tage musste natürlich auch noch ein kurzer, blauer Last-Test sein. Leider ist das Wetter heute nicht so dolle; die Fahrtstrecke mit den Boxxen drauf ist daher recht gering ausgefallen, und Fotos gibt's nur aus der wettergeschützten Garage.
Aufbau:
Das Fahrrad ist, wie leicht erkennbar ist, eigentlich ein Dreirad, kann aber trotzdem wie vom normalen Fahrrad her gewohnt mit Schräglage durch Kurven gefahren werden. Der Clou ist dabei das Fahrwerk der Vorderachse. Für Ampelstops, zum Beladen oder einfach nur zum Abstellen des Rads lässt sich die Kippmechanik in der senkrechten Position verriegeln. Als Antrieb kommt ein Performance CX, der drehmomentstärkste 250 W / 25 km/h Mittelmotor von den Kollegen der Bosch-Ebike-Sparte zum Einsatz. Die Kraftübertragung zum Hinterrad erfolgt dann per Riemen zur stufenlosen und je nach Modus automatisch arbeitenden Nabenschaltung. Die Ladefläche befindet sich zwischen dem senkrechten Lenkerrohr und der Vorderachse.
Ladung:
Auch wenn das hier nicht die Sortimo-Variante CT1 ist, so ist das Rad doch nicht ganz frei von den Produkten aus Zusmarshausen - zu beiden Seiten der Ladefläche befinden sich Prosafe-Schienen, die zur Sicherung der Ladung verwendet werden können. Die als Zubehör erhältlichen Aufbauten (z.B. ein Drahtkorb oder eine geschlossene Box) greifen in diese Schienen ein und werden so ohne großen Aufwand auf dem Rad befestigt. Da hier gerade keine Prosafe-Gurte zur Hand waren, kamen für den Schnelltest einfache Gurtbänder zum Einsatz; passende Rundösen hierfür sind ebenfalls am Rad vorhanden.
Hier waren insgesamt 1496 "Millimeter" L-Boxx (also 4 Stück 374 oder ähnlich hohe Kombinationen der kleineren Boxxen) auf dem Rad verstaut, und die Fläche war damit noch nicht am Ende. Auch der Caddy findet problemlos seinen Platz. Wer lieber in Getränkekisten rechnet: von den normalen Kisten mit ca. 30 cm x 40 cm Grundfläche passen sogar vier nebeneinander in eine Ebene. Die hier getestete Größe ist übrigens die mittlere oder "L2", wobei es hier die Besonderheit gibt, dass die insgesamt drei Größen (L1, L2 und L3) auf die Vertriebswege aufgeteilt sind: das CD1 von HNF Nicolai gibt es in den Größen L1 und L2, das CT1 von Sortimo dagegen in L2 und L3.
Der Unterschied zwischen CD1 und CT1 wird anhand der Ladefläche am besten deutlich: bei Sortimo ist das Rad mit einer abschließbaren Kunststoffbox ausgerüstet, die mittig über der Front sitzt. Dahinter folgt dann die tieferliegende, rechteckige und schwarz gehaltene Ladefläche. Das CD1 dagegen bringt eine Ladefläche aus einem geschwungenen Formholz-Bauteil mit, das bis über die Vorderachskonstruktion reicht. Zum Schutz vor den Wettereinflüssen ist das Sperrholz mit Klarlack versiegelt, so dass das Rad an dieser Stelle (jedenfalls solange es nur wenig beladen ist) mit einer schön gemaserten Holzoberfläche glänzt.
A propos Ladung: neben der Ladefläche vorne (für > 100 kg zugelassen) lassen sich an der stabilen Schutzblechhalterung am Hinterrad auch noch zwei Ortlieb-Taschen einhängen, falls Bedarf an weiterem Packvolumen besteht.
Fahrverhalten und Handhabung:
Wie beschrieb es doch gleich der Außendienstler: wenn ein normales Fahrrad ein Auto ist, dann ist das CD1 ein ausgewachsener LKW. Wobei das jetzt schlimmer klingt als es tatsächlich ist. Ja, das Ding hat einen (für ein Fahrrad) reichlich großen Wendekreis mit über 6 m Durchmesser. Das wird aber tatsächlich nur an ganz wenigen Stellen zum realen Problem; Umtragesperren wären da so ein Punkt. In öffentlichen Verkehrsmittel ist das Teil natürlich auch nicht mehr gerne gesehen (bzw. eher sogar verboten), da es mit seiner Größe natürlich viel mehr Platz wegnimmt als ein normales Rad.
Der Aufbau mit den vor der Ladefläche liegenden Vorderrädern macht das Vehikel zwar lang, hat aber auch einen großen Vorteil: das ganze Ding ist unter 80 cm breit und passt somit problemlos durch normale Türen und ebenso zwischen den in manchen Städten häufig anzutreffenden Kfz-Sperrpollern hindurch. Letztere in voller Fahrt zu passieren erfordert allerdings einiges an Übung; ich habe es an solchen Stellen zur Schonung von Mensch und Material lieber bei Abbremsen und mit "halber Kraft" Durchrollen belassen. Die Lenkung agiert naturgemäß nicht so direkt wie man es vom Fahrrad gewohnt ist, der Geradeauslauf ist aber nach einer Eingewöhnungsphase dennoch gut, und die Spurstabilität beim Überfahren kleiner Hindernisse ist dank der drei Räder hervorragend. Auch das Licht (zwei Scheinwerfer vorne, jeweils an den Schutzblechen und somit mitlenkend) ist super, das Fahren bei Dunkelheit kein Problem. Der Motor schiebt ordentlich mit an, was aber im Angesicht von einem Leergewicht im Bereich von 50 - 60 kg auch gut zu gebrauchen ist. Besonders in der höchsten Unterstützungsstufe macht das Fahren richtig Spaß, und es geht sowohl von der Ampel weg wie auch bergauf gut vorwärts - zumindest solange man nicht schneller fährt als 25 km/h. Bei etwa dieser Geschwindigkeit regelt der Antrieb nämlich wie für führerscheinfreie Ebikes vorgeschrieben die Leistungszufuhr herunter, und offensichtlich wurde diese Grenze bei der Programmierung des Antriebs auch recht ernst genommen: bei 25 km/h auf dem Bordcomputer sagt das GPS nämlich "nur" 22 km/h an. Mit einige Ampeln u.ä. kommt man dann beispielsweise auf einen realen Durchschnitt von knapp 20 km/h.
Fazit:
Auf schmalen "Altbau"-Radwegen, die kaum breiter sind als das Rad selbst, ist man damit nicht so gut aufgehoben; auf allem was besser ausgebaut ist, ist man dafür so unkompliziert und dynamisch unterwegs wie mit einem normalen Fahrrad - nur mit einem Vielfachen der Tragfähigkeit. Um in den Genuss der Motorunterstützung zu kommen, muss man immer leicht mittreten, aber trotzdem knapp unterhalb von 25 km/h bleiben - eine Fahrweise, die bei sonst eher sportlich fahrenden Radlern etwas Eingewöhnung erfordern kann. Die Reichweite mit dem normalen 500 Wh Akku dürfte je nach Terrain und gewählter Motorstufe realistisch bei ca. 40 - 60 km liegen. Wer also in dem dadurch vorgegebenen Radius bleibt, kann mit dem Rad so einiges erledigen, für das sonst ein Kraftfahrzeug herhalten müsste.
Gruß
kuraasu